Acht heute zugestellte Entscheidungen des VfGH betreffen großteils nicht mehr geltende Maßnahmen gegen COVID-19, die Verpflichtung zum außerordentlichen Zivildienst sowie eine Mautbefreiung in Vorarlberg.
COVID-19: Verpflichtung zum außerordentlichen Zivildienst setzt Ermittlung der Erforderlichkeit voraus
Ein Student aus der Steiermark war im März 2020, zwei Wochen vor dem Ende seines ordentlichen Zivildienstes, zum außerordentlichen Zivildienst verpflichtet worden. Er argumentierte in einem Antrag, dies sei gesetzwidrig. Nach dem Zivildienstgesetz 1986 darf eine Verpflichtung zur Leistung des außerordentlichen Zivildienstes nur dann erfolgen, wenn ein Einsatz bei Elementarereignissen, Unglücksfällen außergewöhnlichen Umfanges oder außerordentlichen Notständen erforderlich ist.
Der Beschwerdeführer hatte vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ua. geltend gemacht, dass sich mit Stand 17. März 2020 bereits 2500 Freiwillige zum außerordentlichen Zivildienst gemeldet hätten und dass ordentliche Zivildiener aus anderen Bereichen versetzt worden seien, weshalb die Verlängerung gerade seines Zivildienstes nicht erforderlich sei. Auf diese Argumente ist das BVwG nicht eingegangen; es hat auch nicht ermittelt, ob die Verlängerung des Zivildienstes tatsächlich erforderlich war. Damit hat das BVwG den Beschwerdeführer im Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz verletzt. Der VfGH hat daher die Entscheidung aufgehoben; das BVwG muss nun eine neue Entscheidung erlassen.
(E 1262/2020)
COVID-19: Mehrere – vor allem frühere – Maßnahmen gesetzwidrig, da Entscheidungsgrundlagen unzureichend dokumentiert
Der VfGH hat festgestellt, dass eine Reihe von COVID-19-Maßnahmen gesetzwidrig waren, die im Frühjahr 2020 gegolten haben. Gesetzwidrig waren konkret das Betretungsverbot für Gaststätten und selbständige (nicht an eine Tankstelle angeschlossene) Waschstraßen, Beschränkungen betreffend den Einlass von Besuchergruppen in Gaststätten (maximal vier Erwachsene, wenn kein gemeinsamer Haushalt), das Verbot von Veranstaltungen mit mehr als zehn Personen (welches etwa Diskotheken betraf) und die Maskenpflicht an öffentlichen Orten in geschlossenen Räumen (Amtsräumen etc.).
Der VfGH hob auch eine noch in Geltung stehende Bestimmung der COVID-19-Lockerungsverordnung (nunmehr COVID-19-Maßnahmenverordnung) auf, mit der die verpflichtende Einhaltung eines Mindestabstands zwischen den Verabreichungsplätzen in Gaststätten (§ 6 Abs. 1 und 4) angeordnet wurde, also der Mindestabstand von einem Meter zwischen Tischen. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. Dezember 2020 in Kraft.
Bei allen als gesetzwidrig erkannten Bestimmungen war aus den dem VfGH vorgelegten Akten nicht nachvollziehbar, auf Grund welcher tatsächlichen Umstände die zuständige Behörde – der Gesundheitsminister – die jeweilige Maßnahme für erforderlich gehalten hat. Dies verstößt aber gegen die gesetzliche Ermächtigung im COVID-19-Maßnahmengesetz bzw. im Epidemiegesetz. Der VfGH folgt damit den Leitentscheidungen vom 14. Juli 2020 (siehe hier).
(V 392/2020, V 405/2020, V 428/2020, V 429/2020, G 271/2020, G 272/2020)
Mautbefreiung in Vorarlberg: VfGH weist Antrag einer Autobahnanrainerin als unzulässig zurück
Der VfGH hat den Antrag einer Einzelperson zurückgewiesen, die seit 15. Dezember 2019 geltende Mautbefreiung auf der A 14 Rheintalautobahn zwischen der Staatsgrenze bei Hörbranz und der Anschlussstelle Hohenems als verfassungswidrig aufzuheben. Die Antragstellerin wohnt in Lustenau in der Nähe der Ortsdurchfahrt zum Grenzübergang Lustenau. Sie machte geltend, dass es sich bei dieser Mautbefreiung um eine Verkehrslenkungsmaßnahme handle, die im Bereich des Grenzüberganges zu einer weiteren Belastung der Luftqualität und damit zu einer Beeinträchtigung und Gefährdung der Gesundheit führe; darin liege ein Verstoß gegen das Recht auf Privatleben nach Art. 8 EMRK.
Die Anfechtung eines Gesetzes durch eine Einzelperson (Individualantrag) setzt jedoch voraus, dass sich das angefochtene Gesetz an oder gegen den Antragsteller wendet. Dies ist hier nicht der Fall: Die als verfassungswidrig kritisierte Mautbefreiung betrifft nur den Bund bzw. die ASFINAG als Gläubiger der Maut sowie jene Personen (Verkehrsteilnehmer), die von der Entrichtung der Maut befreit sind. In der konkreten Konstellation lässt sich auch aus Art. 8 EMRK keine rechtliche Betroffenheit der Antragstellerin ableiten.
(G 152/2020)
Zweiter Lockdown ab Dienstag in Österreich
31. Oktober 2020, 16.45 Uhr
https://ooe.orf.at/stories/3073885/
Österreich stehen neue Coronavirus-Maßnahmen bevor, die auch eine Ausgangsbeschränkung von 20.00 bis 6.00 Uhr beinhalten. Die Verordnung soll am Dienstag um 0.00 Uhr in Kraft treten und bis 30. November gelten, wie die Bundesregierung Samstagnachmittag bekannt gab.
„Nicht mehr möglich sein werden“ der Sport- und Freizeitbereich, die Hotellerie und die Gastronomie, so Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Die Gastronomie darf nur noch Abhol- und Lieferdienste anbieten, Hotels ist die Aufnahme von Touristen untersagt. Für die betroffenen Unternehmen wird es ein Hilfspaket geben, kündigte Kurz an. Die betroffenen Branchen werden 80 Prozent des Umsatzes des Vorjahreszeitraums überwiesen bekommen. Zudem werde die Kurzarbeit ausgeweitet, sagte der Kanzler. Anders als im Frühjahr bleiben Geschäfte geöffnet, auch Dienstleister wie Friseure und Physiotherapeuten dürfen weiterarbeiten.
Nächtliche Ausgangsbeschränkungen
Die nächtlichen Ausgangsbeschränkungen bedeuten ein Verbot des Verlassens des privaten Wohnbereichs. Zu diesem zählen auch Wohneinheiten in Beherbergungsbetrieben sowie in Alten-, Pflege- und Behindertenheimen. Doch gibt es Ausnahmen, bei denen auch zwischen 20.00 und 6.00 die Wohnung verlassen werden darf:
- Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für Leib, Leben und Eigentum;
- Betreuung von und Hilfeleistung für unterstützungsbedürftige Personen sowie Ausübung familiärer Rechte und Erfüllung familiärer Pflichten;
- Deckung der notwendigen Grundbedürfnisse des täglichen Lebens;
- berufliche Zwecke, sofern das erforderlich ist;
- Aufenthalt im Freien zur körperlichen und psychischen Erholung.
Die nächtlichen Ausgangsbeschränkungen gelten allerdings bis 12. November, nicht bis 30. – so sieht es das Covid-19-Maßnahmengesetz vor.
Verschärfungen in Altersheimen
Besuche in Krankenhäusern, Kuranstalten und in Alters- und Pflegeheimen werden zum Schutz der Kranken, Senioren, Pflegebedürftigen und des Personals limitiert. Bis inklusive 17. November sind Besuche nur mehr alle zwei Tage erlaubt, wobei pro Tag maximal ein Besucher zugelassen wird. Insgesamt können in den kommenden zwei Wochen Patienten, Senioren bzw. Pflegebedürftige in Spitälern und Heimen maximal zwei verschiedene Besucher empfangen.
Die entsprechenden Maßnahmen wurden von Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) bei der gemeinsamen Pressekonferenz der Regierung verkündet. Sämtliche Besucher müssen entweder ein negatives Testergebnis vorweisen oder adäquaten Atemschutz – eine FFP2-Maske – tragen. Der Mindestabstand ist einzuhalten. Ausgenommen davon ist die Palliativ – und Hospizbegleitung sowie die Seelsorge zu kritischen Lebensereignissen. Für externe, nicht medizinische Dienstleister gilt ein Betretungsverbot in Alten- und Pflegeheimen.
Mitarbeiter in den jeweiligen Einrichtungen müssen – abhängig von der Verfügbarkeit – jede Woche ein negatives PCR- oder Antigen-Testergebnis vorlegen. Alternativ kann durchgehend während der Berufsausübung eine FFP2-Maske getragen werden.
Sport nur noch im Freien und mit Abstand
Sportliche Betätigung wird mit der Verordnung ebenfalls nur noch eingeschränkt möglich sein. Während man weiterhin im Freien laufen gehen darf, ist jede Form von Training im Innenraum untersagt. Sportstätten im Freien dürfen zwar weiterhin auch von Hobbysportlerinnen und -sportlern benützt werden; allerdings nur, wenn es nicht zu Körperkontakt mit anderen kommt.
Keine Bewirtung in Gastronomie
Starke Einschnitte zeichneten sich schon seit Tagen für die Gastronomie ab. So ist bereits laut erstem Entwurf das „Betreten und Befahren von Betriebsstätten sämtlicher Betriebsarten der Gastgewerbe untersagt“ – mit anderen Worten: Gastronomiebetriebe dürfen keine Gäste bewirten. Erlaubt bleibt die Abholung von Speisen und Getränken in der Zeit von 6.00 bis 20.00 Uhr. Ausgenommen von den Schließungen sind Kantinen in Betrieben, Schulen und Krankenhäusern. Auch in Speisewagen dürfen weiterhin Speisen und Getränke serviert werden.
Schließen müssen auch Hotels. Einzig Gäste, die sich zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verordnung bereits dort befanden, können die gebuchte Zeit noch dort verbringen. Ausgenommen sind außerdem Übernachtungen aus beruflichen Zwecken und im Zuge einer Ausbildung. Auch Kurbetriebe fallen nicht unter die Regelung.
Handel bleibt offen
Zwar entkommt der Handel diesmal im Gegensatz zum ersten Lockdown einer Schließung, doch kehren die Personenbegrenzungen zurück. Pro Kundin oder Kunde müssen zehn Quadratmeter zur Verfügung stehen. Ist das Geschäft kleiner, darf nur eine Person eingelassen werden. Am Ort der beruflichen Tätigkeit ist zwischen den Personen ein Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten, „sofern nicht durch geeignete Schutzmaßnahmen das Infektionsrisiko minimiert werden kann“. Diese Regeln für Kundenbereiche sind übrigens auch auf Bibliotheken und Archive anzuwenden.
Distance-Learning für Oberstufe und Uni
Für den Schulbereich wird es differenzierte Maßnahmen geben. Kindergarten, Volksschulen und Unterstufen bleiben vorerst offen, in der Oberstufe und an den Universitäten wird nach den Herbstferien auf Distance-Learning umgestellt.
Stelzer: „Maßnahmen leider notwendig“
ÖVP-Chef Landeshauptmann Thomas Stelzer bezeichnet die Maßnahmen der Bundesregierung als leider notwendig, damit die Gesundheitsversorgung nicht zusammenbricht. Oberstes Ziel sei immer, dass alle Menschen medizinische Hilfe bekommen, wenn sie eine benötigen. Stelzer zeigt sich froh, dass die Bildungseinrichtungen offenbleiben und er begrüßt die versprochenen Finanzhilfen für betroffene Betriebe. Es brauche jetzt die Mithilfe jedes Einzelnen, sonst würden die Schutzmaßnahmen keine Wirkung zeigen, appelliert der Landeshautmann.
Haimbuchner: „Politische Kapitulationserklärung“
FPÖ-Obmann Landeshauptmannstellvertreter Manfred Haimbuchner spricht angesichts des neuerlichen Lockdowns von einer politischen Kapitulationserklärung einer auf allen Ebenen überforderten Bundesregierung. Acht Monate nach dem ersten Lockdown stehe man wieder am Anfang, als hätte es die vergangenen Monate nie gegeben. Das Versagen der Bundesregierung sei eine Gefahr für die nationale Sicherheit, so Haimbuchner.
Kaineder: „Beschränkungen unumgänglich“
Stefan Kaineder, der Landessprecher der Grünen, meint, dass die harten Beschränkungen unumgänglich sind, um die Gesundheit zu bewahren und Menschenleben zu retten. Kaineder appelliert daher an die Bevölkerung, die Regelungen mitzutragen und die Maßnahmen zu befolgen.
Gerstorfer: „Hausarrest deutlich überzogen“
Die SPÖ-Landesvorsitzende Birigit Gerstorfer warnt vor allem davor, dass die Fehler des ersten Lockdowns wiederholt werden könnten und fordert Kommunikation auf Augenhöhe und keine Alibiaktionen. Das ganze Land unter abendlichen Hausarrest zu stellen sei deutlich überzogen und ein Zeichen der Hilflosigkeit, so Gerstorfer.
NEOS: „Von Regierung verschuldete Notfallreaktion“
Für NEOS sind die neuen Maßnahmen eine von der Regierung selbst verschuldete Notfallreaktion. Viel wichtiger wären rasche Testungen mit kurzen Intervallen bis zum Testergebnis und effektive Kontaktnachverfolgung, die es bis heute nicht gebe, meint NEOS-Landessprecher Felix Eypeltauer.