Tinnitus-Behandlung

Hirnstimulierung gegen das Pfeifen im Ohr

03.06.10 – Emily Singer

Grafik Grafik: E.N.T. Care and Cure

Ein neues Verfahren könnte bald Tinnitus lindern, indem kombinierte elektrische und akustischen Signale das Hörzentrum neu justieren.

Plötzlich, ohne äußere Einwirkung, ist es da: ein Pfeifen, Ziepen oder Dröhnen im Ohr, das mitunter gar nicht mehr verschwindet – medizinisch „Tinnitus“ genannt. Schätzungsweise ein Zehntel aller Deutschen leiden darunter, und wenn auch nur vorübergehend. Forscher des texanischen Start-ups Microtransponder und der Universität von Texas in Dallas (UTD) wollen nun das Leiden mit einem neuen Verfahren lindern, das mit elektrischer und akustischer Stimulierung arbeitet.

Bislang konnte die Medizin nicht abschließend erklären, wie ein Tinnitus entsteht. Einige Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass er aus dem Versuch des Gehirns resultiert, einem teilweisen Hörverlust entgegenzuwirken. Wird das Innenohr, das Schallwellen in Nervensignale für das Gehirn umsetzt, beschädigt, schwächen diese sich ab. Das Gehirn reagiert darauf offenbar, in dem es die Aktivität des Hörzentrums erhöht – was zu den Phantomgeräuschen führen könnte.

Diese Fehlanpassung will Michael Kilgard, Neurowissenschaftler an der UTD mit einer Mischung aus elektrischer und akustischer Stimulierung korrigieren. Kilgard hatte vor einigen Jahren entdeckt, dass der so genannte Nucleus basalis im Gehirn bei elektrischer Stimulierung das Hörzentrum neu organisiert, wenn zugleich ein bestimmter Ton erklingt. Das Hörzentrum wird dann besonders empfänglich für diesen Ton.

Für eine Tinnitus-Behandlung, so Kilgards Idee, würde dann zusätzlich zur elektrischen Hirnstimulierung eine Vielzahl von Tönen erklingen – bis auf die Frequenzen, die das Phantomgeräusch des Patienten ausmachen. Das Hörzentrum soll also für alle anderen Geräusche außer dem lästigen Pfeifen oder Brummen sensibilisiert und so gewissermaßen neu justiert werden.

Anstatt direkt schwer zugängliche Hirnpartien wie den Nucleus basalis zu stimulieren, geht Kilgard aber über den Vagusnerv, der sich aus dem Hirnstamm bis in die Bauchhöhle hinunterzieht. Die Vagusnerv-Stimulierung wird bereits zur Behandlung von Schmerzen, Depression oder Epilepsie eingesetzt. Dies geschieht über implantierte elektrische Signalgeber.

Kilgards Team konnte zeigen, dass Laborratten, die einen mit Tinnitus vergleichbaren Hörschaden hatten, nach einer Kombination aus Tönen und Vagusnerv-Stimulierung nicht mehr an den störenden Geräuschen litten. Die Plastizität des Gehirns, also seine Fähigkeit, sich umzuorganisieren, ist offenbar groß genug, dass auch der Vagusnerv das Hörzentrum beeinflussen kann. Nun sollen klinische Tests an Tinnitus-Patienten in Belgien folgen.

Laut Kilgard kommen dabei einfache Elektroden zum Einsatz, die am Hals eingepflanzt und mit dem Vagusnerv verbunden werden – und anschließend von außen angeregt werden. Die Patienten sollen eine tägliche Stimulierung von maximal einer Stunde bekommen. Im Unterschied zur Behandlung von Epilepsie, die permanent eingesetzt werden muss, würde eine Tinnitus-Behandlung nur einige Wochen dauern. Für die Tests in Belgien passt Microtransponder seine bisherige Stimulierungstechnik an diese Erfordernisse an.

Der Vorteil der Geräte von Microtransponder ist, dass sie drahtlos arbeiten. Die Elektroden benötigen keine Batterien, sondern beziehen den nötigen Strom aus einer miteingepflanzten Spule, die elektromagnetische Energie von einer zweiten, batteriebetriebenen Spule am Handgelenk übertragen bekommen. „Die Idee dahinter ist, dass man die Elektrode jederzeit reaktivieren kann, wenn der Tinnitus wieder auftritt“, erläutert Kilgard. Das kann bis zu fünf Jahre nach einer erfolgreichen Behandlung passieren.

Harvard-Medizinerin Jennifer Melcher betrachtet den Behandlungsansatz von Kilgard und Microtransponder mit vorsichtigem Optimismus. „Wir wissen aber immer noch nicht genau, welche Rolle die Plastizität des Gehirns beim Tinnitus spielt“, sagt Melcher. „Es könnte sein, dass nicht jede Form von Tinnitus auf derselben Änderung der Hirnaktivität beruht.“ Für die müssten dann jeweils eigene Behandlungsmethoden gefunden werden.

Ein vom Medizintechnik-Unternehmen Adaptive Neuromodulation (ANM) entwickelter Stimulator arbeitet nach einem ähnlichen – aber schonender umgesetzten – Prinzip wie das Microtransponder-Gerät: Über einen Kopfhörer wird eine speziell berechnete Tonfolge abgespielt, die leicht über der Hörschwelle und mit ihren Frequenzen geringfügig ober- und unterhalb der individuellen Störgeräusche liegt. Diese entstehen laut Professor Peter Tass vom Forschungszentrum Jülich, der ANM mitgegründet hat, dadurch, dass im Hörzentrum des Gehirns die Nervenzellen aufgrund einer Fehlsteuerung im Gleichtakt und nicht nacheinander aktiv sind. Diese synchrone Tätigkeit unterbricht der Stimulator.

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2 Kommentare

  1. reinhard

     /  8. Mai 2012

    wo kann man das machen? wer macht das?
    würde überall hin fahren

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    • AN NIJA TBÉ

       /  9. Mai 2012

      Hallo Herr Reinhard,
      könnten Sie bitte genau beschreiben, wie sich bei Ihnen die Geräusche anhören?
      Ich selber höre auch seit 1987 einen Geräuschpegel von hohen Schwingungen, nicht im Ohr, sondern quasi um den Kopf herum, bzw. überall, so möchte ich es beschreiben.

      Es ist ein Geräusch, das nicht nur fallweise auftritt, sondern permanent anwesend ist. Es kam und ging nicht wieder weg. Ich leide aber nur zeitweise darunter, wenn die Geräusche scharf und schneidend werden.

      Nachdem ich mich mit vielen Leuten international schon darüber ausgetauscht habe und auch Kinder dieses Geräusch wahrnehmen, kamen wir zu der Ansicht, dass es sich um die Frequenzen handelt, die uns umgeben und die nun, für zunehmend mehr Menschen, hörbar geworden sind.

      Ein Phänomen, das diesen Schluss zulässt ist auch, dass in harmonischen Räumen das Geräusch ruhig und weichschwingend ist, während bei massiver (vermutlich)Handystrahlung z.B. dieses scharfe schneidende Schwingungspaket auftritt, das man durchaus als schmerzhaft bezeichnen kann.

      Kernfrage:
      Es stellt sich grundsätzlich die Frage, was hat es mit diesem zunehmenden Phänomen von hörbaren Geräuschen auf sich und warum stört es einige so sehr, dass sie alles tun würden, um es wieder los zu werden und andere, sagen, es ist eine erhöhte Wahrnehmung, eine Art natürlicher Entwicklung?

      Als bei mir das Geräusch als hohes Pipstonpaket 1987 auftrat, schleppten mich die Verwandten zum Arzt, weil sie Angst hatten, dass ich einen Gehörsturz haben könnte.
      Ich selber hatte eigentlich keine Angst, wunderte mich nur über diese neue Wahrnehmung, die von einer Sekunde auf die andere auftrat und seither nie wieder verschwand und sich ausschließlich in der Qualität verändert. Ich kam auch niemals auf die Idee, dass ich mich behandeln lassen sollte, damit ich nicht mehr höre was ich höre…
      Der HNO-Arzt 1987 untersuchte mich gründlich und stellte keinerlei Schäden oder gar Gehörsturz fest, meine Ohren und das drum herum sind ganz gesund, meinte er.

      Zur Kernfrage dieses Phänomens: Worum handelt es sich wirklich?
      um eine erhöhte Sinneswahrnehmung, durch allgemeine kosmische und irdische Veränderungen?
      Oder
      Um krankhafte Veränderungen des Sinnesorgans?
      Oder
      Um zwei verschiedene Effekte, einen krankhaften und einen natürlichen???

      Für mich selber beurteile ich diese Wahrnehmung, als eine natürliche, da medizinisch nichts Auffälliges gefunden werden konnte und mir der Geräuschpegel auch eine Aussage über das Umfeld gibt, in dem ich mich wohlfühle oder nicht.

      Wie ist das bei Ihnen Herr Reinhard???
      Lg
      AnNijaTbé

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